Was glücklich macht (Interview)
Glück kommt aus uns selbst, und man kann es lernen, sagt Wissenschaftsautor Stefan Klein im Interview.
Ist Glück wirklich ein Prozess, an dem man arbeiten kann? Die meisten Menschen betrachten es eher als Schicksal, ob sie ein glückliches Leben führen oder nicht.
Stefan Klein: Viele sehen Glück tatsächlich als etwas, das gewissermaßen vom Himmel fällt. Der eine hat es, der andere nicht. Das ist relativ bequem, aber man begibt sich damit in eine ohnmächtigere Lage als nötig. Viele Untersuchungen zeigen, dass Glücklichsein, also die Empfindung von Zufriedenheit und Freude, erstaunlich wenig von den Umständen des Lebens abhängt. Alle äußeren Faktoren zusammengenommen, Einkommen, Kinder, Intelligenz etc., machen nicht mehr als zehn Prozent aus. Das heißt, dass unser Glücksempfinden hauptsächlich aus uns selbst kommt, unser Körper ist die Bühne, auf der es spielt.
Wie kann ich mein Glücksgefühl beeinflussen?
Ein Weg ist, unsere Wahrnehmung zu schulen, wacher aufzunehmen, was in uns und um uns herum geschieht. Achtsamkeit ist ein Schlüsselwort, das vor allem in den östlichen Religionen eine große Rolle spielt. Wir sollten mehr auf das achten, was wir tun, intensiver wahrnehmen, wie beispielsweise der Kaffee schmeckt, den wir gerade trinken, uns über die kleinen Dinge des Lebens freuen und nicht nur über die schlechten Momente ärgern. Das ist eine wesentliche Zutat des Glücks.
Die Isländer, Dänen und Schweizer scheinen es richtig zu machen, die liegen in den Glücksstatistiken ganz vorn ...
Gerade bei den Isländern ist das erstaunlich. Diese Menschen leben das halbe Jahr bei abscheulichem Wetter in fast ständiger Finsternis. Trotzdem schaffen sie es, ihre schwierigen äußeren Bedingungen produktiv zu verwandeln. Das hat viel mit der Gesellschaftsform zu tun. Die nordischen Völker, aber auch die Schweizer leben in relativ egalitären Gesellschaften, in denen viel Gemeinsinn herrscht und jeder Einzelne ein hohes Maß an Selbstbestimmung hat. Menschen werden unglücklich, wenn sie das Gefühl haben, Leben und Schicksal nicht in der Hand zu haben.
Soziales Eingebundensein also als eine Zutat Ihrer Glücksformel. Was gehört noch dazu?
Auf seinen Körper zu achten, Bewegung, eine gute Partnerschaft und natürlich Sex. Die Fähigkeit zur genauen Wahrnehmung, zum Genuss und zur Sinnlichkeit. Abwechslung, Kontraste im Leben und schließlich Kontrolle der negativen Emotionen - die Dosierungen sind für jeden unterschiedlich. Entscheidend ist es, sich Ziele zu setzen und diese Ziele auch zu verfolgen. Wir haben die Vorstellung vom Glück als Dauerfaulenzen am sonnigen Nachmittag im Liegestuhl. Aber das ist leider ziemlich falsch. Es ist leichter, in der Aktivität Glück zu empfinden als im Nichtstun. Das kann sowohl körperliche als auch geistige Aktivität sein. Demnach hat nicht jeder Mensch die gleiche Voraussetzung, Glück zu empfinden.
Woran liegt es, dass manche Menschen nicht glücklich sind, obwohl es ihnen objektiv sehr gut geht, und umgekehrt?
Man kann eine tolle Ausbildung haben, einen tollen Partner, tolle Kinder und trotzdem zutiefst unzufrieden sein. Aber es gibt tatsächlich Menschen, die glücklicher als andere leben. Und das, obwohl sie nicht vom Leben mehr begünstigt sind. Sie können nur ihre negativen Emotionen besser kontrollieren. Wie neuropsychologische Untersuchungen zeigen, spielt die linke Hälfte des Stirnhirns in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Diese Teile des Gehirns sind bei solchen Menschen offenbar besser trainiert. Sie nehmen ihre negativen Emotionen wahr, aber steigern sich nicht hinein. Sie achten mehr auf die positiven Empfindungen wie Freude und Lust.
Heißt das umgekehrt, negative Gefühle zu unterdrücken macht glücklich?
Nicht unterdrücken, kontrollieren. Ich kann ja wahrnehmen, dass ich mich ärgere, aber ich muss deswegen nicht gleich in einen Wutanfall ausbrechen. Auch dieses "Wein dich aus", das einem geraten wird, wenn man großen Kummer hat, nützt überhaupt nichts. Ich begebe mich dadurch nur noch tiefer in die Niedergeschlagenheit hinein.
Kann man die Zentren der linken Hirnhälfte, die für Emotionen zuständig sind, trainieren?
Ja. In einer guten Psychotherapie geschieht nichts anderes. Mit neuen Methoden der Hirndurchleuchtung konnten Wissenschaftler sogar erkennen, wie sich das Gehirn dabei verändert. Denselben Effekt kann jeder auch im Alltag erreichen. Eine der wichtigsten Übungen dafür ist, den freudigen Gefühlen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Hat die Arbeit an Ihrem Buch* Ihr Leben bzw. Ihr eigenes Glücksempfinden verändert?
Ja. Ich habe während der Recherche sehr viel gelernt. Und natürlich nutze ich diese Einsichten auch für mich selbst. Ich bewege mich mehr, mir ist bewusster, dass Glück nicht so sehr von äußeren Dingen abhängt, ich habe gelernt, weniger auf andere Menschen zu schielen, von denen man ja immer denkt, sie seien glücklicher als man selbst. Sich immer mit anderen zu vergleichen ist absolut unsinnig. Ich führe intensivere Gespräche mit meiner Freundin, und ich lade öfter Leute zum Essen ein. Gerade das Kochen ist für viele Menschen ein großartiges Beispiel dafür, wie man die Glücksformel im Alltag umsetzen kann. Da haben Sie alles: Sie verfolgen ein Ziel, erleben viele verschiedene Farben und Gerüche, tun etwas Sinnliches mit den Händen. Und wenn man für Freunde kocht, hat man auch noch Spaß mit anderen und findet Geborgenheit.
Interview: Nikola Haaks
Aus: Brigitte 10.07.02 (gekürzt)